Das Konzept der Work-Life-Balance – Sinn und Unsinn eines Modebegriffes

"Wir bieten eine gute Work-Life-Balance" – kaum eine Stellenanzeige kommt heute ohne diese Begrifflichkeit aus. Aber ist das für Arbeitnehmer wirklich der ausschlaggebende Grund, um sich bei einem Unternehmen zu bewerben? Eine Studie der Gfk lässt anderes vermuten: 68 Prozent der Befragten würden Abstriche bei Freizeit und Familie machen, wenn die Bezahlung stimmt oder die Karriere dadurch befeuert wird. Ganze 47 Prozent richten sogar ihre Freizeit nach ihrem Beruf aus und konzentrieren sich alleine auf die Arbeit.

Brauchen wir das Konzept der Work-Life-Balance also überhaupt nicht? Ist Arbeit und Leben etwas, das nicht ausbalanciert werden muss? An sich ist das Anliegen, neben der Arbeit genug Zeit für andere Dinge zu haben, sicher nicht falsch, jedoch sollte der Begriff – gerade in der digitalisierten Arbeitswelt – kritisch hinterfragt werden.

Die Definition des Work-Life-Balance-Konzeptes

Das Work-Life-Balance-Konzept ist in Deutschland seit den 1990er Jahren bekannt. Seit dieser Zeit wird auch in wissenschaftlichen Debatten versucht, eine einheitliche Definition des Begriffes zu finden. Bislang erfolglos. Es kursieren etliche unterschiedliche Definitionen. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend definierte die Work-Life-Balance so:

Work-Life-Balance bedeutet eine neue, intelligente Verzahnung von Arbeits- und Privatleben vor dem Hintergrund einer veränderten und sich dynamisch verändernden Arbeits- und Lebenswelt.

Damit bleibt der Begriff nach allen Seiten offen und wortreich ist letztlich nichts gesagt. Probieren wir es also einmal umgekehrt:

Was ist das Work-Life-Balance-Konzept nicht? Problematiken mit der Begrifflichkeit

Problematisch ist vor allem der Begriff "Balance", der nahelegt, es ginge um ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit. Der Begriff der Balance lässt sich auch nicht allgemeingültig für alle Wünsche und Bedürfnisse von Arbeitnehmern formulieren. Was der eine als ausgewogen betrachtet, ist einem anderen eher zuviel.

Kritiker des Work-Life-Balance-Konzeptes bemängeln zudem, dass der Begriff Arbeit und Leben als Gegensätze darstellt. Auf der einen Seite die Arbeit und auf der anderen Seite das Leben. So wird suggeriert, dass die Arbeit eine notwendige (oftmals ungeliebte) Tätigkeit ist, die es auszugleichen gelte. Im Gegensatz dazu steht das erfüllende Private, das durch die Arbeit behindert werde.

Das Lebensbalance Modell – die vier Säulen des Lebens

Ein weiteres Problem mit der Begrifflichkeit offenbart sich, wenn man sich die Begriffe Arbeit und Leben einzeln anschaut. Da haben wir auf der einen Seite die Arbeit, klar, das ist eine einzelne feste Größe. Aber ist Leben nur einer von zwei Aspekten des menschlichen Daseins? Diesem Thema hat sich der iranische Psychotherapieut Nossrat Peseschkian angenommen. In seinem "Lebensbalance Modell" legt er vier Säulen des Lebens fest:

  • Beruf & Finanzen
  • Familie & Bekannte
  • Gesundheit & Fitness
  • Sinn & Kultur

Laut diesem Modell ist ein Mensch erst dann mit seinem Leben zufrieden, wenn sich alle Säulen im Gleichgewicht befinden. Gleichgewicht heißt in diesem Falle jedoch nicht, dass alle vier Säulen die gleiche Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen müssen. Jeder Mensch nutzt und gewichtet diese Säulen unterschiedlich. Das Gleichgewicht der Säulen ist zudem dynamisch. Während in einer Lebensphase vielleicht die Karriere im Vordergrund steht, kann in einer anderen die meiste Zeit in die Familie investiert werden.

Heißt weniger arbeiten mehr leben?

Die Rechnung scheint einfach: Wenn ich weniger Stunden für die Arbeit aufwende, habe ich mehr Zeit, mich um private Angelegenheiten zu kümmern und kann so zum Beispiel Familie und Beruf besser unter einen Hut bringen. Aufgrund dieser Rechnung könnte man annehmen, dass in Ländern, in denen die durchschnittliche Wochenarbeitszeit niedriger ist, Arbeitnehmer weniger Probleme hätten, Beruf und Familie zu vereinen.

Um diese Theorie zu bestätigen, haben Wissenschaftler der Universitäten Melbourne und Cincinnati in einer Studie untersucht, wie oft Angestellte aus 32 Nationen von Problemen berichten, diese beiden Lebensbereiche zu vereinen. Das überraschende Ergebnis: gerade in Ländern, in denen vergleichsweise wenig gearbeitet wird, gibt es die größten Probleme. Die Wissenschaftler sehen den Grund dafür in der gesteigerten Erwartungshaltung der Arbeitnehmer an eine möglichst gute Work-Life-Balance. Gerade in Ländern, in denen die Maximalarbeitszeit seit Jahren gesetzlich gesenkt wird, wächst der Wunsch nach noch weniger Arbeit. Das betrifft besonders Länder wie Kanada, Schweden oder die Niederlande.

Ein weiterer Einflussfaktor scheinen kulturelle Prägungen zu sein. Länder aus dem asiatischen Raum, bei denen das Kollektiv wichtiger ist als der Einzelne, beschweren sich deutlich weniger über die fehlende Work-Life-Balance – und das, obwohl in diesen Ländern meist deutlich länger gearbeitet wird.

Diese Studie zeigt auch, dass flexible Arbeitszeitmodelle nicht das Allheilmittel für eine gute Work-Life-Balance sind. Um fähige Mitarbeiter zu finden und langfristig zu binden, müssen Unternehmen attraktive Lebensbalance-Modelle anbieten, die den Angestellten genug Freiheiten lassen sich persönlich auszuleben.

Neue Konzepte: Work-Life-Integration statt Work-Life-Balance

Aufbauend auf das Konzept der Work-Life-Balance etabliert sich nach und nach der Begriff der Work-Life-Integration. Anders als bei der Work-Life-Balance, bei der Berufliches und Privates als Gegensätze angesehen werden, geht das Konzept der Work-Life-Integration davon aus, dass Arbeit und Privates mehr und mehr miteinander verschmelzen. In Zeiten der Digitalisierung, in der wir ständig erreichbar sind und zeit- sowie ortsunabhängig arbeiten können, ist das sicher kein falscher Gedanke.

Die klare Abgrenzung mit einer gewissen Zeit am Tag, an der gearbeitet wird und einer Zeit, die rein für private Zwecke genutzt wird, ist in vielen Berufen schon lange nicht mehr Usus. Bei der Work-Life-Integration ist es daher auch während der Zeit, die man beispielsweise im Büro verbringt, erlaubt, sich privaten Angelegenheiten zu widmen, wie zum Beispiel die Nutzung von Social Media oder aber auch Terminvereinbarungen mit Freunden zu treffen. Im Gegenzug dafür, wird auch mal nach Feierabend auf dem heimischen Sofa ein geschäftliches Telefonat geführt oder eine Präsentation erstellt.

Außerdem erlaubt dieses Konzept eine neue Flexibilität. Da nicht mehr minutiös aufgelistet wird, was Arbeits- und Privatzeit ist, kann der Arbeitnehmer in Zeiten, in denen nicht viele Aufgaben zu erledigen sind, früher nach Hause gehen und die Zeit für Privates nutzen. Sobald wieder mehr zu erledigen ist, erledigt er in seiner Freizeit zusätzlich anfallende Arbeiten.

Fazit: Die Idee der Work-Life-Balance ist für den Arbeitnehmer sicher nützlich, jedoch greift der Begriff zu kurz. Die Trennung von Arbeit und Leben ist in der modernen Arbeitswelt kaum umsetzbar bzw. auch gar nicht gewollt. Vielmehr sollte es darum gehen, seinen Beruf und andere Bestandteile des Lebens, wie Familie und Freunde, so zu handhaben, dass sie nicht nur nebeneinander, sondern miteinander funktionieren. Das Prinzip der Work-Life-Integration setzt genau an diesem Punkt an und könnte auch für Unternehmen eine gute Möglichkeit sein, dafür zu sorgen, dass Arbeitnehmer in ihrem Job glücklich sind.

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