Mit Schreibtischen und ihren Nutzern ist es ein wenig so wie mit Hunden und ihren Herrchen – sie werden einander mit der Zeit immer ähnlicher. Während sehr aufgeräumte Geister gerne über den Winkel nachdenken, in dem ein Kuli zur Tastatur liegen sollte, frönen andere ungehemmt ihrer Lust auf kreatives Chaos und bieten auf ihrem Schreibtisch allen Dingen Asyl, die – auf welchem Weg auch immer – dorthin gefunden haben.
An Schreibtischen sitzen aber nicht nur Pedanten oder Chaoten, sondern auch Menschen, die gerne zeigen, was ihnen wichtig ist und was sie ausmacht sowie andere, die sich nur ungern in die Karten schauen lassen. Wer genau hinsieht, glaubt gern an der Art und Weise der Schreibtischorganisation seines Kollegen bzw. seiner Kollegin zu erkennen, wie diese Person tickt. Wir haben uns einige Studien zum Thema angesehen und überprüfen, ob das wirklich so ist. Zudem geben wir Auskunft darüber, ob Chefs ihren Mitarbeitern vorschreiben sollten, wie aufgeräumt der Schreibtisch zu sein hat.
In Deutschland arbeitet bereits heute jeder vierte Beschäftigte in einem Büro, so eine Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln. In Großstädten sind es sogar bereits über 40 Prozent, Tendenz weiter steigend. Da der Schreibtisch so etwas wie das natürliche Habitat des Büromenschen ist, nimmt er in der Büroorganisation eine Sonderstellung ein.
Während Vorgesetzte in aller Regel darauf drängen, dass die Schreibtische übersichtlich und funktional bleiben, neigen Mitarbeiter dazu, sich ihr kleines Reich nach eigenem Gutdünken einzurichten. Diese individuelle Schreibtischorganisation verrät immer etwas über denjenigen, der für sie verantwortlich ist. Finden Sie sich in einem der folgenden Typen wieder?
Minimalist/Funktionalist: Der Arbeitsplatz dieses Typs ist bestens organisiert und stets aufgeräumt. Alles hat seinen festen Platz, nichts lenkt von der Arbeit ab, die aufgrund der guten Organisation fast schon ein wenig roboterhaft glatt abläuft. Minimalisten lieben es, zu planen und arbeiten am besten, wenn sie Routinen folgen können. Neue Ideen werden von solchen Mitarbeitern meist nicht erwartet. Sie gelten aber als zuverlässig. Die verschrobene Variante dieses Typs sortiert auch schon mal die Bleistifte nach Härtegrad und zuckt nervös mit den Augenbrauen, sobald jemand etwas auf seinem Schreibtisch ablegt.
Messi: Von Schreibtischorganisation kann bei diesem Typ eigentlich keine Rede sein. Jeder Zentimeter des Schreibtischs ist belegt mit Stapeln von Papieren, Zetteln, Büchern, Zeitschriften oder Aktenordnern. Auch Privates wie Essensreste, Getränkeflaschen und allerlei Nippes vom Glückskeks bis zu Weihnachtskarten aus den vergangenen Jahren wird gerne deponiert. Besitzer eines solchen Schreibtischs gelten als nicht sonderlich zuverlässig, dafür aber als kreativ.
Reviermarkierer: Dieser Typ neigt dazu, sein kleines Reich immer weiter auszubauen. Die Jacke wird dann auch schon mal auf dem Stuhl abgelegt, der eigentlich für Gäste gedacht ist. Im Großraumbüro bietet der benachbarte Schreibtisch des Kollegen bzw. der Kollegin dem Reviermarkierer eine beliebte Angriffsfläche, auf der er gerne seine Spuren hinterlässt. Entsprechend gilt der Reviermarkierer als mitunter aggressiv. Sein Auftreten ist dominant und fordernd.
Stiller Beobachter: Er/Sie sucht sich bevorzugt einen Eckplatz im Büro aus, weit genug von der Tür entfernt, um nicht gleich angesprochen zu werden, aber gut genug platziert, um das Geschehen stets im Auge behalten zu können. Lässt man den stillen Beobachter in Ruhe, leistet er gute Arbeit. Sein Schreibtisch ist ordentlich und sauber. Persönliche Gegenstände wie Fotos findet man hier in der Regel nicht, schließlich lässt sich der stille Beobachter selbst nicht gerne in die Karten schauen. Er ist als Kollege geachtet, aber meist nicht sonderlich beliebt.
Zur-Schau-Steller: Dieser Typ ist so ziemlich das Gegenteil des stillen Beobachters. Der Schreibtisch dient ihm nicht nur zur Arbeit, sondern hat ganz klar auch Repräsentationspflichten zu erfüllen. Daher finden sich hier häufig auch Auszeichnungen, Urkunden oder beeindruckend dicke Fachbücher. Den Zur-Schau-Steller gibt es auch in der weniger angeberischen Variante des Personalisierers, der gerne mit persönlichen Gegenständen wie Familienfotos, Urlaubsbildern oder auch der Tasse mit dem Logo der Lieblingsband seine Persönlichkeit zu erkennen gibt. Sowohl der Zur-Schau-Steller als auch der Personalisierer gelten als zugewandt und kontaktfreudig, mitunter aber auch als ein wenig zu schwatzhaft und nicht immer vertrauenswürdig.
Und, welcher Typ sind Sie? Die meisten von uns werden sich vermutlich ein bisschen in jedem Typ wiedererkennen. Das sollte Sie nicht weiter verwundern. Schließlich handelt es sich bei solchen Typisierungen immer um den Versuch, aus einer bestimmten Eigenschaft bzw. einem einzelnen Verhalten auf den Charakter eines Menschen zu schließen. Die Sozialpsychologie bezeichnet die Neigung, Persönlichkeitseigenschaften sowie Einstellungen und Meinungen anderer zu überschätzen und zugleich den Einfluss äußerer Faktoren auf deren Verhalten zu unterschätzen, als Attributionsfehler.
Genau dieser Fehler liegt Typologisierungen wie der oben aufgeführten zugrunde. Sie sind der letztlich zum Scheitern verurteilte Versuch, den stets komplexen Charakter eines Menschen auf einige wenige Punkte zu reduzieren. Auf diese Weise lassen sich allenfalls Klischees bestätigen. Ein wirklicher Erkenntnisgewinn ist damit nicht zu erreichen. Zum Glück gibt es aber auch einige wissenschaftliche Studien, die Klarheit darüber bringen, warum sich in Büros so unterschiedliche Arten von Schreibtischorganisationen finden.
Eine viel zitierte Studie in diesem Kontext ist Lean Office 2006 des Fraunhofer Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung, die gemeinsam mit dem Kaizen Institute durchgeführt wurde. Sie ergab, dass in Büros rund ein Drittel der Arbeitszeit verschwendet wird. Die Hälfte der Verschwendung sei dabei auf schlecht abgestimmte Prozesse zurückzuführen und wiederum ein Drittel auf einen schlecht organisierten Arbeitsplatz, also etwa einen unaufgeräumten Schreibtisch auf dem die Mitarbeiter das jeweils benötigte Dokument erst nach einer gewissen Zeit fänden.
Diese Studie war (und ist) natürlich ein gefundenes Fressen für alle jene, die immer schon forderten, dass ein Schreibtisch möglichst gut aufgeräumt sein sollte. Führungskräfte müssen aus der Studie zudem den Schluss ziehen, dass sie ihre Mitarbeiter dazu anzuhalten hätten, ihre Schreibtische stets aufgeräumt zu organisieren, um produktiver zu arbeiten.
Die Crux liegt wie so häufig auch hier im Detail. Schließlich bemisst sich die Produktivität gerade bei der Büroarbeit nicht allein über den Faktor Zeit. Zwar werden die im Büro erstellten Dienstleistungen immer auch über die Zahl der dafür benötigten Stunden abgerechnet, letztlich verkauft wird jedoch eine Dienstleistung, die den Kunden zufriedenstellt. Daher bemisst sich Produktivität im Büro in aller Regel auch an Faktoren wie eingebrachtes Know-how und Kreativität. Womit wir wieder beim Thema Schreibtischorganisation wären:
Zu diesem Ergebnis fanden die US-Wissenschaftler Kathleen Vohs, Joseph Redden und Ryan Rahinel von der University of Minnesota mithilfe eines schönen Experiments.
Die Versuchsteilnehmer wurden dabei in zwei Gruppen aufgeteilt. Während die erste Gruppe in einen sehr ordentlichen Raum geführt wurde, in dem alle Arbeitsmaterialien sauber aufgereiht und in Mappen abgeheftet bereitlagen, wurde die andere Gruppe in ein unordentliches Zimmer geführt. Dort lag nicht nur alles auf den Tischen durcheinander, auch über dem Boden waren verschiedene Utensilien verstreut worden. Alle Versuchsteilnehmer erhielten die Aufgabe, sich zu überlegen, mit welchen Ideen ein Sportartikel-Hersteller seine Tischtennisbälle verkaufen könnte.
Beide Gruppen fanden in etwa der gleichen Zeit die ungefähr gleiche Anzahl an alternativen Nutzungsmöglichkeiten für Tischtennisbälle. Der Clou der Studie aber war, dass diese Vorschläge von einer Jury bewertet wurden. Und hier schnitt die Gruppe, die im Chaos gearbeitet hatte, tatsächlich signifikant besser ab. Ihre Vorschläge wurden als deutlich kreativer eingeschätzt und kamen auch besser an als die aus der "ordentlichen Gruppe".
In einem anderen Experiment baten die Forscher die Versuchsteilnehmer, einige Fragen zu beantworten. Wieder gab es zwei Gruppen – eine wurde in ein ordentliches Büro geführt, die andere in ein unordentliches. Nach dem Ausfüllen eines Fragebogens (der nur ein Vorwand für das jetzt Kommende war) wurden die Teilnehmer aufgefordert, etwas für einen wohltätigen Zweck zu spenden und sich anschließend in der Cafeteria entweder für einen ungesunden Snack wie einen Schokoriegel zu entscheiden oder für einen gesunden Apfel.
Die Ordentlichen spendeten signifikant mehr als die "Messis" und entschieden sich auch weit häufiger für den gesunden Apfel. Die Autoren der Studie ziehen daraus den Schluss, dass ein geordneter Arbeitsraum die Menschen eher dazu bringt, zu tun, was von Ihnen verlangt wird. Dazu passt auch, dass eine weitere Studie erbrachte, dass sich Menschen, die in einer geordneten Struktur arbeiten, häufiger für ein konventionelles Produkt entscheiden, während das Chaos im Arbeitsraum eher dafür sorgt, dass man auch einmal ein neues Produkt ausprobieren möchte.
Sowohl der aufgeräumte als auch der unaufgeräumte Schreibtisch haben also Vor- wie Nachteile. Wer nur schwer Ordnung auf seinem Schreibtisch halten kann, sucht im Durchschnitt auch länger nach Unterlagen, wenn er sie braucht. Quasi als Ausgleich dürfen die Messis verbuchen, dass das Chaos um sie herum, sie tatsächlich zu kreativeren Gedanken führt.
Umgekehrt dürfen sich alle Ordnungsliebenden zugutehalten, weniger Zeit zu verschwenden und den an sie gesetzten Anforderungen besser gerecht zu werden. Letztendlich profitieren Unternehmen davon, wenn ihre Mitarbeiter sowohl unaufgeräumte als auch aufgeräumte Schreibtische haben. Schließlich benötigen Unternehmen Mitarbeiter, die solide ihrer Pflicht nachkommen genauso wie jene, die mit kreativen Ideen auch einmal etwas Neues wagen.
Eine Möglichkeit beide zu kombinieren liegt darin, Mitarbeitern kreative Ecken anzubieten, an denen es ruhig ein wenig chaotisch zugehen darf. Ist die zündende Idee gefunden, geht es zurück an den ordentlichen Schreibtisch, der dann dazu anregt, die Arbeit auch sauber auszuführen.
Wie gezeigt, lassen sich tatsächlich auch gute Gründe für ein bisschen Chaos auf dem Schreibtisch finden. Da das sicher nicht alle Vorgesetzten und Kollegen freuen wird, könnte ein guter Kompromiss darin liegen, auf einem an sich gut organisierten und aufgeräumten Schreibtisch auch kleinere Chaosinseln zuzulassen. Diese schaffen passionierte Messis sicher ohne fremde Hilfe. Für den aufgeräumten Bereich gibt es diese einfachen Tipps:
Alles Schriftliche von Kollegen oder Kunden gehört in einen Eingangskorb, der zeitnah abzuarbeiten ist.
Was nicht sofort bearbeitet werden kann, gehört in eine Ablage. Diese kann auch gerne außerhalb des Schreibtischs platziert werden.
Das wichtigste Instrument um Ordnung zu halten, ist der Papierkorb. Was nicht mehr gebraucht wird, sollte entsorgt werden.
Sollten Sie sich von bestimmten Dingen nicht trennen können, versuchen Sie es mit der KonMari-Methode von Marie Kondo. Nehmen Sie das Ding in die Hand und fragen Sie sich, ob es Sie noch glücklich macht. Ist die Antwort "vielleicht" oder "nein", bedanken Sie sich bei dem Gegenstand und werfen oder geben ihn weg. Wer sich nicht so einfach trennen mag, nimmt ein Foto auf und behält das Ding so in Erinnerung.
Räumen Sie zum Feierabend stets alles vom Schreibtisch, was nicht mehr gebraucht wird. Das gilt besonders für Essens- oder Getränkereste sowie Geschirr.