Seit Juni 2016 sind der Brexit und das damit verbundene Chaos in aller Munde und Dauergast in sämtlichen Nachrichtenjournalen und den Medien. Noch immer ist nicht ganz abzusehen, wann er final abgeschlossen sein wird. Auch die Folgen (nicht nur für Deutschland, auch für andere Wirtschaftsnationen) sind nicht vollumfassend vorhersehbar. Trends zeichnen sich jedoch schon seit längerem ab, insbesondere in der Frankfurter Immobilienbranche. Wie genau der Brexit sich auf den Frankfurter Immobilienmarkt auswirkt und ob er Frankfurt wirklich zum Gewinner des Brexit macht, haben wir uns für Sie näher angesehen.
Bereits zu Beginn des Brexit-Prozesses wurde eifrig spekuliert, wie dieser sich wohl auf Deutschland auswirken werde, insbesondere hinsichtlich der Finanzbranche. Mit dem Ausstieg des Vereinigten Königreichs aus der EU könnte London, eine der wichtigsten Finanzmetropolen der Welt, drastisch an Bedeutung verlieren, da die in London ansässigen Banken und Finanzdienstleister ihre EU-Geschäfte nicht mehr von London aus abwickeln können. Die spannende Frage lautete nun, von wo aus die Londoner Finanzinstitutionen ihre EU-Geschäfte stattdessen abwickeln würden. Obwohl die Brexitverhandlungen unter Boris Johnson aktuell noch laufen, ist der Brexit für die Banken und Finanzdienstleister tatsächlich quasi bereits vollzogen.
Frankfurt am Main, internationale Finanzmetropole, Sitz der Europäischen Zentralbank (EZB) und eine der wohlhabendsten Städte der Welt, scheint auf den ersten Blick die Antwort auf diese Frage zu sein. Jedoch buhlten natürlich auch andere EU-Länder um den Status der attraktivsten Niederlassung. Zu Beginn des Brexit-Procedere schnitt Frankfurt in Befragungen der Londoner Finanzinstitute in puncto Attraktivität trotz der (zumindest im Vergleich zu London und Paris) viel preiswerteren Mieten deutlich schlechter ab als erwartet. Dennoch konnte sich Frankfurt als Favorit für den Großteil der Banken durchsetzen und einen ordentlichen Zulauf verzeichnen. Laut BaFin verlagerten 45 Banken und Finanzdienstleister, unter ihnen z.B. Stanley Morgan, Goldman Sachs, UBS, Citi und Credit Suisse, ihre Geschäfte dorthin.
Während man Eingangs noch mit dem Zuzug von bis zu 10.000 Investmentbankern rechnete, blieb die Zahl bis jetzt noch überschaubar; gerade mal ein Viertel der prognostizierten Zuzüge hat bis dato stattgefunden. Zum einen kann es daran liegen, dass sich die Finanzinstitute zumeist nicht ausschließlich für die Umsiedlung, sondern großteils für die Dezentralisierung und Verteilung der Mitarbeiter über mehrere europäische Standorte (z.B. Frankfurt, Dublin und Luxemburg) entschieden haben. Es könnte aber auch daran liegen, dass die Institute möglicherweise in London Stellen abbauen, um die vakanten ausgelagerten Stellen anschließend mit in Frankfurt ansässigen Kandidaten zu besetzen. Auf diese Weise werden zahlreiche neue Jobs in Frankfurt geschaffen.
In Bezug auf die Größenverhältnisse der Londoner City im Vergleich zum gesamten Frankfurter Stadtgebiet muss betont werden, dass das, was London als Peanuts abstempeln würde, für Frankfurt schon einen enormen Zuwachs bedeutet. Auch die bis dato insgesamt 2.500 nach Frankfurt versetzten Angestellten der Londoner Finanzinstitute und -dienstleister benötigen natürlich eine Unterkunft und Büroflächen. Letzteres ist eher unproblematisch, da aus den 1990er und 2000er Jahren spekulativ erbaute Bürogebäude eine hohe Leerstandsquote aufweisen (2016: 11 % der Büroflächen, Tendenz allerdings sinkend). Die Herausforderung liegt hier eher auf dem Wohnungsmarkt, herrscht in Frankfurt doch seit geraumer Zeit Wohnungsknappheit. Bereits im Jahr 2015 mangelte es an ca. 40.000 Wohnungen.
Der Bau zusätzlicher Wohnungen ist zwar in Planung, die Fertigstellung verläuft aber leider nicht simultan mit dem Anstieg der Nachfrage. Bis zu 10.000 Menschen können im neu entstandenen Europaviertel wohnen. Um der Überkapazität an Büroflächen und der Knappheit an Wohnraum Herr zu werden, wurden jedoch ebenfalls einige leerstehende Bürogebäude in Wohn- oder Hotelgebäude umgewandelt. Diese Maßnahmen sorgten zwar dafür, die Knappheit nicht weiter zu steigern, gleichen das Defizit aber bei weitem noch nicht aus. Der vorhandene Mietraum wird also weiterhin ein knappes Gut sein, was auch die Mietpreise in die Höhe treibt. Das allerdings wird nicht das Problem der Investmentbanker sein, für die die Mieten in Frankfurt im Gegenzug zu den Londoner Mieten eher preiswert anmuten.
Sollten sich die Prognosen von insgesamt bis zu 10.000 neuen Stellen im Finanzsektor auf lange Sicht für Frankfurt bewahrheiten, wird dies zu einer weiteren Verschärfung des Wohnraumdefizits sowie zur Explosion von Immobilienpreisen führen. Zur Erweiterung des Lebensraums baut die Stadt Frankfurt stetig weiter nach außen, bis an die Stadtgrenzen heran; neue Wohnviertel entstehen, doch das kostet Zeit. Allein die Fertigstellung des Europaviertels dauerte ein Jahrzehnt. Hinzu kommt, dass zuletzt selten mehr als 3.000 Wohnungen jährlich fertiggestellt werden konnten. Ein Mangel an Bauland als einer der Hauptgründe bremst die Abdeckung des Nachfrageüberhangs zusätzlich aus.
Aufgrund des Platzmangels ist zu erwarten, dass im Stadtgebiet Frankfurt der Fokus im Wohnungsbau verstärkt auf sogenannte Micro-Apartments gelegt wird. Micro-Apartments sind minimalistische Wohnungen mit 15-32 Quadratmetern, die eben nur das aller nötigste zum Leben beinhalten: Schlafplatz, Küchenzeile, Minibad und mit etwas Glück bzw. Geld auch noch Platz zum Arbeiten. Nach diesem Prinzip lassen sich deutlich größere Mengen an Wohnungen in gleichbleibend großen Bauprojekten unterbringen. Die somit deutlich steigende Anzahl der verfügbaren Objekte könnte darüber hinaus auch einen zusätzlichen Bedarf an Fachkräften im Bereich Real Estate mit sich bringen.
Kleine Wohnungen, das suggeriert erst einmal, dass weniger Platz auch bezahlbarer sei. Was sich nach einer günstigen Wohngelegenheit anhört, ist aber leider keineswegs günstig. Bei einer Durchschnittsmiete von ca. 18 Euro pro Quadratmeter (für 30-Quadratmeter-Wohnungen sogar 19,14 Euro) kommen schon bei ca. 30 Quadratmetern schnell über 600 Euro Mietkosten zusammen. Und das sind nur die aktuellen Quadratmeterpreise. Prognosen zufolge ist zu erwarten, dass Lebensraum in Frankfurt am Main, das hinsichtlich der Preisentwicklung mit etwas Abstand schon direkt hinter München rankt, den Abstand zu den Münchner Verhältnissen (durchschnittlich 19,45 Euro Miete pro Quadratmeter) noch wesentlich verringern wird.
Die galoppierende Mietpreisentwicklung mag für die wohlhabende Finanzdienstleister-Belegschaft kein Problem darstellen, könnte aber wiederum auf dem Rücken der Geringverdiener und Arbeitsuchenden ausgetragen werden müssen. Zahlreiche Menschen würden somit regelrecht aus dem Stadtgebiet vertrieben. Das gilt nicht nur für Geringverdiener und Erwerbslose, sondern auf lange Sicht auch für "Normalverdiener".
Hieraus würde ein massenhafter Abzug in Frankfurts Stadtrandgebiete oder in‘s hessische Umland erfolgen, was zwar bei durchschnittlich ca. 11 Euro pro Quadratmeter wiederum günstigere Lebensbedingungen, gleichzeitig jedoch auch einen weiteren Arbeitsweg oder Stellenverluste in Frankfurt zur Folge hätte. Die Zahl der Berufspendler würde dann ebenfalls drastisch ansteigen.
Mit Sicherheit lässt sich diese Frage erst beantworten, wenn der Brexit komplett durchgezogen wurde. Je nachdem, ob er hart oder weich ausfallen wird, könnte Frankfurt weiteren Zulauf in der Finanzbranche erhalten. Aktuell darf man jedoch davon ausgehen, dass Frankfurt definitiv mit zu den größten Gewinnern des Brexit zählen wird. Der Zulauf im Finanzbusiness bringt neuen Wind in die zuletzt im Wachstum stagnierende Finanzbranche Frankfurts und somit auch zusätzlichen Wohlstand und erhöhte Kaufkraft, was auch dem Absatz von Luxus-Wohnobjekten in die Tasche spielen dürfte.
Mit dem Zuzug der Londoner Finanzdienstleister zieht aber auch die Immobiliennachfrage sehr stark an, ebenso die Mieten. Auf die Leerstände von Bürogebäuden wirkt sich das zweifellos vorteilhaft aus, da diese somit reduziert werden. Bezahlbarer Wohnraum aber wird weiterhin ein knappes Gut bleiben, mehrere 10.000 Wohnungen müssen zur Verfügung gestellt werden. Sollten die aus London verlagerten Finanzdienstleister Ihre Belegschaft auf lange Sicht um die prognostizierten tausenden zusätzlichen Stellen ausbauen, könnten Angestellte aus anderen Branchen mit Durchschnittsverdiensten sowie Arbeitsuchende aus dem Stadtgebiet Frankfurt vertrieben werden, da die Mieten für diese zukünftig kaum bis nicht mehr bezahlbar sein werden.