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Deutsche gotische Architektur im späten Mittelalter

Geschrieben von Lisa Geserich | 06.09.2016 22:00:00

Eines der gewagtesten Baustile aller Zeiten, die Gotik, hat uns im Laufe von 400 Jahren das Genie und die Geschicktheit von visionären Steinmetzen und Baumeistern in Form von himmelreichenden Steingewölben und Turmspitzen hinterlassen.

Der im 12. Jahrhundert in Frankreich erschienene gotische Baustil forderte die Gesetze der physikalischen Kräfte heraus, mit dem Ziel, sich dem Himmel anzunähern. Durch die Wände aus buntem Glas sollten die Lichtstrahlen im Überfluss einfallen, um die reich verzierten Kircheninnenräume zu erhellen.

Die Gotik entwickelte sich aus der Romanik und führte keine spezifische Gebäudetypologie ein, sondern eher ein neues Architektursystem für bestehende Bauformen. Die Neuerung bestand in der Durchbrechung der Wände durch Glasfenster, die schwerelose Erscheinung und die leichte Konstruktion, die höhere Bauten ermöglichte.

Im Deutschen Reich wurde vorerst überwiegend im romanischen Stil gebaut, wobei die Bauwerke erste gotische Merkmale aufzuweisen begannen, die von ausländischen Bauvorbildern abgeleitet wurden. In diesem Übergangsstil erbaut, weist die Elisabethkirche in Marburg (ab 1235) eine gelungene Fusion der deutschen und französischen Baustile auf und ist zugleich eine der ersten gotischen Bauten auf deutschem Gebiet.

Mit dem Baubeginn des fünfschiffigen Kölner Doms, mit seinem dreischiffigen Querhaus im Jahr 1248, schloss Deutschland an die französische Hochgotik an. Erst im 19. Jahrhundert konnte der gewaltige Bau vollendet werden und wurde zu eine der weltweit größten Kirchen. Fast gleichzeitig, ab 1245 entsteht auch das Straßburger Münster, welches ebenfalls auf das Verständnis für die gotischen Bauprinzipien hinweist. Gleichwertig sind die Lübecker Marienkirche, die durch die Benutzung des lokalen Backsteins zum ersten Bau der Backsteingotik wird, und das Ulmer Münster, das durch seinen, im 19. Jahrhundert vollendeten, Turm zum höchsten Kirchengebäude der Welt wurde.

Die Bauwerke der Hochgotik fanden keinen Nachklang in den Folgebauten, es fand eher eine Reduktion der reichverzierten hochgotischen Gebäude statt. Somit entstand im 14. und 15. Jahrhundert die Spätgotik, auch Deutsche Sondergotik genannt, die sich vom französischen Vorbild löste. Sie materialisierte sich in die schlichteren Bauformen der Hallenkirchen, Bettelordenskirchen und Backsteinbauten. Die für die Hochgotik typischen Bauelemente wie Chorumgang, Kapellenkranz, Triforium, Wimperge und Pfeilerbünden entfielen.

Die Basilika wurde durch die Angleichung der Schiffshöhen zur Hallenkirche, Doppelturmfassaden oft zu Einturmfassaden. Es wurde eine einheitliche Raumwirkung erzielt, sowohl durch die gleichhohen und gleichbreiten Schiffe oder das Chorpolygon als Apside, welche alle Schiffe umfasste, als auch durch Bereicherungen wie die Stern-und Netzgewölbe, die eine klare Abgrenzung der Joche verhinderten: statt der üblichen kreuzenden Rippen war das Gewölbe von einem parallel verlaufenden Gitterwerk bedeckt.
Prächtige Muster entwickelten sich in Österreich, Böhmen und Sachsen durch die „gewundenen Reihungen“, Schlinggewölbe ohne tragende Funktion, wie bei der St. Annenkirche in Annaberg-Buchholz. Die Schlichtheit der Spätgotik spiegelte sich u.a. in den im Raum gespannten Rippen und den dünnen Pfeilern, die bis zum Gewölbe reichten.

(Bildquelle: http://www.panoramio.com/photo/90371221)

Die gotischen Bauten, die zum Großteil der sakralen Typologie angehörten und sowohl für den Ruhm des Klerus, wie auch für einen wirtschaftlichen und technologischen Auftrieb standen. Der dadurch entstandene Kontrast zwischen der Pracht der Sakralbauten und dem Elend des Großteils der Bevölkerung konnte somit kaum größer gewesen sein.

Auch heute, im Zeitalter des Computers, der Hochtechnologien und der Überreizung unserer Sinne aus allen Richtungen, machen uns gotische Bauten immer noch sprachlos.